Wo liegen die Ursachen der Zahnproblematik versteckt?

Das Pferd hat sich über Jahrmillionen zu einem Steppentier entwickelt, dessen Leistungen und Fähigkeiten an das Leben in der Steppe hervoragend angepasst sind.

In Bezug auf die Zähne bedeutet das:

Das Hauptnahrungsmittel der Pferde bestand aus hartem Steppengras, daher mussten die Zähne der Pferde sehr widerstandsfähig sein, damit sie sich nicht zu schnell abnutzten - die Zähne (Schneide- und Backenzähne) schieben jährlich bis zu 3mm aus dem Zahnfach nach.

Heutzutage stellt uns dies vor ein Problem:

Da unsere Pferde viel abgeschnittenes Futter (Heu, Heulage, Silage...) bekommen, welches sie nicht mehr abbeissen müssen, entwickelt sich ein ungünstiges Verhältnis in Bezug auf die Länge der Schneide- und Backenzähne.

Durch das Zermahlen des Futters werden die Backenzähne beansprucht und abgenutzt. Die Schneidezähne werden jedoch mäßig (bei Weidehaltung) bis gar nicht (Boxenhaltung) beansprucht und somit auch kaum abgenutzt. D.h.: die Schneidezähne werden durch das stetige Nachschieben immer länger und die Pferde müssen immer mehr Druck aufbringen, um die Backenzähne noch aufeinander zu bekommen. Dieser vermehrte Druck bleibt nicht ohne Folgen! (Siehe folgende Fotos und Fallbeispiele)
Die Zähne und das Zahnfach können auf Dauer dem Druck nicht standhalten und geben nach vorne nach - somit entsteht im Laufe der Jahre beim Pferd ein immer spitzwinkeliger werdendes Schneidezahngebiß (Seitenansicht).

Auf dem folgenden linken Bild ist ein Milchzahngebiß zu sehen, das Pferd befindet sich noch nicht im Zahnwechsel, ist also etwa 2 Jahre alt. Das Zahnfleisch hat eine gesunde rosa Färbung und ist ganz glatt - so wie es sein sollte.
Auf dem mittleren Foto sieht man das typische Gebiß eines Pferdes mittleren Alters (etwa 12 Jahre), dessen Schneidezähne nie behandelt worden sind. Hier erkennt man deutlich Zahnfleischrückgang und Aufwölbungen des Zahnfleisches über den Zähnen im Oberkiefer, entstanden durch den vermehrten Druck.
Auf dem rechten Bild ist es bereits zu Folgeschäden gekommen: Die Zähne haben sich gelockert, das Zahnfleisch über den Zähnen im Oberkiefer ist stark entzündet und hat sich dunkel verfärbt. Hier kommt man um die Extraktion der Zähne nicht mehr herum.
Auf dem folgenden Bild kann man erkennen, dass der Winkel der Schneidezähne annähernd erhalten geblieben ist, aber direkt über den Zähnen im Oberkiefer wölbt sich durch den Druck das Zahnfleisch vor (darunter liegen die Wurzeln der Schneidezähne):
Wenn der Druck erhalten bliebe und keine Maßnahmen ergriffen würden, würden sich bei diesem Pferd vermutlich bald Fisteln im Bereich der Schneidezahnwurzeln bilden und die Zähne würden sich lockern.

INFO: Hier ist nun häufig die Rede vom Oberkiefer gewesen - das soll nicht heißen, dass diese Problematik nur im Oberkiefer stattfindet, man findet sie auch im Unterkiefer. Nur ist sie auf den Bildern dort besser zu erkennen.

Daher kann man sagen:

Die häufigsten Zahnprobleme treten auf, weil wir das Pferd aus seinem natürlichen Lebensraum herausgeholt haben und die Zähne durch die veränderte Haltung und Fütterung nicht mehr der natürlichen Abnutzung unterliegen!

Da die Zähne der Pferde wiederkehrenden Prozessen unterliegen, hat man - nach Möglichkeit - direkt nach der Behandlung den Idealzustand erreicht, von da an findet eine langsame und stetige Bewegung von der Balance wieder weg statt. Daher ist die Behandlung der Zähne eine Maßnahme, die in regelmäßigen Abständen wiederholt werden sollte - ähnlich wie die Bearbeitung der Hufe.

Die Ursache von Schärfen an den Zahnkanten der Backenzähne: Der Pferdezahn besteht aus 3 verschiedenen Substanzen: dem weichen Dentin, dem Zahnzement und dem harten Zahnschmelz. Diese liegen nicht wie bei uns Menschen übereinander, sondern ineinander gefaltet, so dass man auf der Kaufläche alle 3 Materialien erkennen kann. Durch die verschiedenen Härtegrade nutzen sie sich unterschiedlich schnell ab, sodass sich automatisch eine unebene Kaufläche einschleift. Dies ist wichtig, denn die einzelnen Backenzähne arbeiten wie kleine Mahlsteine (die ebenfalls rauh sind) und somit wird das Futter ordentlich zerkleinert. Unser heutiges Rauhfutter ist allerdings nicht mehr so hart wie das Steppengras - für welches die Zähne enwickelt sind - die Pferde müssen sich mit dem Zerkleinern des Futters nicht mehr so anstrengen. Daher verringert sich der seitliche Kauausschlag des Pferdes und die Abnutzung an der äußersten Zahnkante nimmt ab - die Schärfen bilden sich.